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06. Mai 2002

Geburtstagsfeier

Mit hoher Schichtbewölkung und einer Wolkenhaube über dem Gipfel des Manaslu begrüßt uns der heutige Tag. Ob diese Wolken nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sind, darüber wollen wir lieber nicht nachdenken. Heute hat unser Expeditionsarzt Johannes Carstensen Geburtstag und so stimmen wir zum Frühstück ein Geburtstagslied an. Es ist eine ausgelassene Stimmung und die Teilnehmer widmen sich dem Unterschreiben der 500 Postkarten. Nachdem ich über die Hälfte der Postkarten unterschrieben habe, muss ich erst einmal eine Pause einlegen. Jetzt habe ich den Punkt erreicht, wo ich meine eigene Unterschrift nicht mehr lesen kann. Danach geht es mit neuem Schwung wieder ans Werk. Gegen Mittag rufen wir Dr. Gabel vom Wetteramt Innsbruck an, um die neuesten Wettermeldungen zu erfahren:

„Bis zum kommenden Freitagnachmittag ist es noch schön, dann nähert sich ein Tiefdruckgebiet und es ist mit erneutem Schneefall zu rechnen."

Was tun ist jetzt die große Frage. Bis zum Freitag ist nicht mehr viel Zeit und so entscheiden wir uns für den morgigen Aufstieg. Schnell wird die notwendige Ausrüstung für den Aufstieg zum Gipfel zusammengestellt. Wir wollen morgen bis zum Lager I gehen und die Sherpas direkt bis zum Lager II.

07. Mai 2002

Aufstieg zum Lager I

Um 8.00 Uhr verlassen wir das Basislager und erreichen gegen Mittag bei idealem Wetter das Lager I. Der Rest des Tages verläuft wie die meisten Tage in den Hochlagern: Wasser kochen - trinken - lesen - warten.
Das Wetter ist den ganzen Tag über prächtig. Nur am Gipfel des Manaslu ist ständig eine Schneefahne zu sehen. Ein deutliches Zeichen, dass dort oben ein starker Wind weht.
Zumindest kommt der Wind aus nördlicher Richtung und das ist üblicherweise trockene Luft aus Tibet. An die Höhe sind wir zwischenzeitlich auch recht gut akklimatisiert und so schlafen wir in der Nacht sehr gut.

08. Mai 2002

Der unendlich weitere Weg zum Lager II

Bei Sonnenaufgang verlassen wir das Lager I und steigen in den zerklüfteten Eisbruch. Solange wir noch im Schatten laufen ist es sehr kalt und ich muss meine dicken Handschuhe anziehen.
Die Aussicht ist heute wieder fantastisch. Nur im Tal ziehen die ersten Wolken auf und wir blicken über ein Wolkenmeer.
Beim letzten Aufstieg mussten wir uns den Weg durch tiefen Schnee bahnen und es kostete uns unendlich viel Kraft, bis wir den Höhenunterschied von 1000 m überwunden hatten. Heute sind die Bedingungen erheblich besser und wir können uns die Energie für die Gipfeletappe aufheben.
Der Eisbruch hier am Manaslu besitzt nicht die Wildheit eines Kumbu Eisbruchs am Mount Everest, aber hier ist nur ein Bruchteil der Bergsteiger und es ist nicht möglich, die Aufstiegsspur immer in einem optimalen Zustand zu halten. Alles hat eben seine Vor - und Nachteile. Am Nachmittag erreichen wir das Lager II, das wie ein Adlerhorst unterhalb einer großen Gletscherspalte gelegen ist und dadurch weitgehend lawinensicher ist.
Wir sind im Moment zu müde, um den grandiosen Ausblick von hier oben genießen zu können und ziehen uns bald in unsere Zelte zurück.
Wie der morgige Weiterweg aussieht, wissen wir nur aus Erzählungen von unseren Sherpas, die bereits heute einen Teil der Zelte ins Lager III gebracht haben und am späten Nachmittag wieder ins Lager II abgestiegen sind.

09. Mai 2002

Schwieriger und mühsamer Aufstieg zum Lager III

Zuerst gehen wir hinter unseren Zelten in Richtung N - Col. Unterhalb diesen Col hat der japanische Bergsteiger Konishi sein Lager III errichtet.
Ob diese Wahl des Platzes bei den hier häufig herrschenden Stürmen so sinnvoll ist, mag bezweifelt werden. Vor hier aus geht der Aufstieg in einer Geländesteilheit von 45° nach oben. Die Norweger haben hier Fixseile zurückgelassen, was im Anbetracht von Blankeis und der Geländesteilheit auch bitter nötig ist.
Der Wind bläst die ganze Zeit Unmengen von Schneekristallen über unsere Köpfe hinweg und ich traue mich nicht, meine Kamera aus dem Rucksack zu holen. So habe ich von dieser Passage leider keine Bilder..... Alles in allem ist der Aufstieg sehr mühsam und wir sind glücklich als wir den Lagerplatz in 7400 m zu Gesicht bekommen. Das Lager III liegt in einer Mulde, die einen ebenen Schneeuntergrund besitzt, allerdings ist man hier schutzlos dem Wind ausgesetzt. Als wir im Lager ankommen, geht nur ein mäßiger Wind und wir beginnen sofort mit dem Aufbau der Zelte.
In dieser Höhe artet der Aufbau des Lagers in Schwerstarbeit aus. Jeder Handgriff ist anstrengend und wir versuchen uns anschließend, in unseren Schlafsäcken auszuruhen. Da wir bereits um Mitternacht aufbrechen wollen, ist die Zeit eh sehr knapp bemessen.
Am Abend ist die Sicht zum Gipfel sehr gut und wir versuchen, uns die Aufstiegsspur einzuprägen. Sepp steigt ein Stück nach oben und steckt Markierungsfahnen, damit wir in der Nacht den Weg finden.

10. Mai 2002

Gipfeltag

Um 24:00 Uhr stehe ich in voller Montur vor dem Zelt und warte darauf, dass der Rest der Teilnehmer aus den Zelten kommt. Es ist kalt und es macht keinen Spaß vor dem Zelt zu warten. Nach und nach erscheinen alle Expeditionsmitglieder und wir verlassen um 0:30 Uhr das Lager. Auf den ersten Metern bläst uns bereits ein eiskalter Wind entgegen.
Die Markierungsfähnchen sind jetzt sehr hilfreich um den Weg zu finden, aber nach kurzer Zeit stehen wir vor einem Band aus blankem Eis. Vergeblich versuchen wir einen Durchschlupf auf der rechten Seite zu finden, dann schwenken wir in einem weiten Bogen links und können hier nach langer Suche den entscheidenden Durchlass finden. Es hat den Anschein, dass wir nun das große Plateau erreicht haben. Bei der Dunkelheit ist das aber sehr schwer auszumachen. Zumindest geht es jetzt nicht mehr ganz so steil nach oben. Immer wieder machen wir eine Pause, damit die hinteren Teilnehmer aufschließen können. Die Zahl der noch aufsteigenden Bergsteiger hat sich in der Zwischenzeit leider schon reduziert. Es erreicht uns die Nachricht, dass der Rest umgedreht hat. Die Gründe wissen wir nicht. Ist die Höhe oder die große Kälte schuld an der Umkehr? Nach und nach wird es heller und wir können den Gipfelaufbau in den Umrissen erkennen. Bis dort hin ist es allerdings noch ein sehr weiter Weg. Der Aufstieg wird jetzt immer steiler und auch der Wind nimmt mit zunehmender Höhe an Stärke zu. Das Resultat ist, dass wir immer langsamer werden. An Essen und Trinken ist wegen der Gefahr von Erfrierungen an den Fingern auch nicht möglich. Aus dem gleichen Grund traue ich mich auch nach dem Sonnenaufgang, nicht zu fotografieren. Ich denke nur darüber nach, wie ich ohne einen Schaden zum Gipfel hinauf und wieder herunterkomme. Endlich geht die Sonne auf und es wird nun ein wenig wärmer. Was heißt hier wärmer? Die Temperatur ist seit dem Start vom Lager III zwischen -30 °C bis -40 °C kalt und der starke Wind kühlt uns noch weiter aus. Sehnsüchtig erwarten wir den Sonnenaufgang und hoffen auf ansteigende Temperaturen. Als wir unterhalb dem steilen Gipfelaufbau angelangt sind, erreicht uns die sehnlichst erwartete Sonne.
Schritt um Schritt mühen wir uns nach oben und stehen dann vor dem Gipfelaufbau, der von Wolkenfetzen umtost wird. Ein ausgesetzter Firngrat, der von Felsen unterbrochen wird, mündet zum Gipfel.

Hurra, es ist geschafft! Zwischen 7:00 Uhr und 8:30 Uhr erreichen 8 Teilnehmer und 2 Sherpas den Gipfel.

Schnell mache ich noch ein paar Bilder vom Gipfel. Gerade jetzt ist auch noch der Film voll und ich muss umständlich einen neuen Film einlegen. Ohne Handschuhe ist das bei dieser Kälte kein leichtes Unterfangen. Nach zehn Bildern wird der Film nicht mehr weiter transportiert und es sieht so aus, als ob Eis in der Filmpatrone einen Transport unmöglich macht. Also, das gleiche Spiel nochmals mit dem Filmwechsel. Nach 30 Minuten Aufenthalt beginne ich mit dem Abstieg. Nachdem ich 50 m abgestiegen bin, wird die Sicht so schlecht, dass ich mich zur Umkehr entscheide. So steige ich nochmals hinauf, bis ich auf den Rest der Gruppe stoße, damit ich mich auf keinen Fall von ihnen trenne. Augenblicklich fällt mir wieder die Situation am Nanga Parbat ein. Dort hat sich die Gruppe beim Abstieg getrennt. Für mich hatte das ein bitterkaltes Biwak in 7800 m Höhe zu Folge und das wollte ich auf gar keinen Fall riskieren. Nachdem ich wieder bei der Gruppe angelangt bin, beginnen wir gemeinsam den Abstieg. Jetzt folgt der lange Abstieg, welcher volle Konzentration erfordert. Als wir an die Stelle kommen, die uns in der Nacht so viel Kopfzerbrechen bereitet hat, ist plötzlich ein lauter Aufschrei hinter mir zu vernehmen. Was ist passiert? Ich erkenne wie etwas angeflogen kommt. Zuerst denke ich, dass jemand der Rucksack entglitten ist, und setze meinen Abstieg fort. Ich komme an eine weitere Steilstufe und muss dort erst eine geeignete Stelle für den Abstieg finden. Ich muss jetzt warten, bis die Sicht so gut ist, dass ich das ganze Gelände überblicken kann. Von oben kommt mir ein Tross mit mehreren Personen langsam entgegen. Erst jetzt erkenne ich, dass doch etwas passiert sein muss. Alois ist mit den Steigeisen auf einer Eisplatte ausgerutscht und gut 200 m heruntergefallen. Welche Verletzungen er genau hat, mag im Moment niemand zu sagen. Gemeinsam bringen wir ihn ins Lager III, wo wir gegen 14:00 Uhr eintreffen. Ein paar Teilnehmer wollen morgen nochmals ihr Gipfelglück versuchen und bleiben aus diesem Grund im letzten Lager. Anton und ich sind zu müde für den langen Weg bis zum Lager II und entscheiden uns für den morgigen Abstieg.
Gegen Abend hat sich der Wind zum Sturm gesteigert und an Schlafen ist in dieser Nacht nicht mehr zu denken. Ich hasste mich selbst, für die Entscheidung, nochmals eine Nacht in diesem Lager zu bleiben. Diejenigen, die zum Lager II abgestiegen sind, erreichen das Camp gegen 21:00 Uhr mit großen Problemen bei der Wegefindung in der zwischenzeitlich eingekehrten Dunkelheit.
Die Nacht im Lager III war einfach schrecklich und mehrmals war ich kurz davor, mich anzuziehen, damit ich gewappnet bin, falls der Sturm das Zelt zerstören würde. Gott sei Dank hat das Zelt diese Nacht ohne Schaden überstanden.

11. Mai 2002

Der Berg gehört dir erst, wenn du wieder unten bist

Nachdem die ersten Sonnenstrahlen das Zelt erreichen, packen wir unsere Ausrüstung zusammen. Der Wind ist auch am Morgen kaum schwächer geworden und so ist es äußerst schwierig, die Zelte abzubauen. Mit vereinten Kräften gelingt uns das aber doch, ohne dass uns ein Ausrüstungsgegenstand wegfliegt.
Beim Verlassen des Lagerplatzes vergewissern wir uns nochmals davon, dass kein Müll zurückbleibt. Jetzt liegt ein langer, anstrengender und kniffliger Abstieg ins Tal vor uns. Ein letzter Blick hinauf zum Gipfel und dann beginnen wir mit dem Abstieg. Mit prall gefüllten Rucksäcken müssen wir gleich zu Anfang eine Querung mit blankem Eis meistern, bevor wir zu den Fixseilen gelangen. Die letzte Nacht hat mich viel Kraft gekostet, und so schleiche ich die ersten Meter, nur so vor mich hin. Als ich bei den Fixseilen bin, ist wieder Leben in meine müden Glieder gekommen und es geht wieder mit gewohnter Sicherheit voran. Selbst mit den vorhandenen Fixseilen ist der Abstieg sehr heikel und erfordert äußerste Konzentration. Kaum habe ich mich die ersten Seillängen abgeseilt, entgleitet mir auch noch der Abseilachter und entschwindet mit einem hopp .. hopp ... hopp. Mit den dicken Handschuhen ist die Handhabung einfach sehr schwierig. Jetzt muss ich mich mit einem HMS-Karabiner abseilen, welches mit Handschuhen noch schwieriger ist. Aber es muss irgendwie gehen .... Oberhalb des Col hören dann die Fixseile auf und die nur spärlich vorhandenen Fähnchen sind auch kaum zu sehen. Da die Sicht zwischenzeitlich erheblich schlechter geworden ist, angle ich mich von Fähnchen zu Fähnchen. Dann sind plötzlich gar keine Fähnchen mehr vorhanden und jetzt wird es so richtig schwierig. Vor mir ist niemand und so gehe ich nach Gefühl weiter. „Irgendwo hier, auf der rechten Seite, muss es ja zum Lager II hinunter gehen", sage ich innerlich zu mir und bin mir aber nicht sicher, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Dann sehe ich aber wieder Spuren und folge diesen, bis ich wieder zu dem Fixseil komme, welches bis zum Lager II hinunter führt. Glücklicherweise empfangen mich dort die Kollegen, die gestern abgestiegen sind, mit heißen Getränken. Ich trinke so viel ich kann und versuche mich etwas zu erholen.
Unsere Hochträger bauen jetzt die Zelte vom Lager II ab und jeder bekommt nochmals eine zusätzliche Last in den Rucksack. Nach dieser Ruhepause setzen wir den Abstieg zum Lager I fort. Im Eisbruch erwartet uns eine weitere Überraschung:
Eine riesige Eislawine ist über unsere Aufstiegsspur hinweggefegt und der Verlauf der Abstiegsspur hat sich komplett geändert. Entkräftet schleppen wir uns zum Lager I. Der Weg will kein Ende nehmen und so sind wir sichtlich erleichtert, als wir geben 16:00 Uhr, im Lager I einen Tee trinken können.
Nach dieser Stärkung gilt es nur noch so schnell wie möglich ins Basislager. Nun ja, von schnell kann eigentlich nicht mehr die Rede sein, denn der Schnee ist am späten Nachmittag aufgeweicht. Bei jedem Schritt sinkt man bis zu 20 cm in den sulzigen Schnee hinein. Das hat mir gerade noch gefehlt! Aber auch dieses werden wir noch überstehen. Zwei Stunden später sitze ich im Basislager und trinke ein Bier und ich bin froh, dass ich alles ohne Schaden überstanden habe. Dass das nicht selbstverständlich ist, macht der Unfall von Alois sehr deutlich. Das hätte schlimm enden können. Zum Glück hat Alois „nur" eine Platzwunde an der Stirn sowie Schürfungen und Prellungen am ganzen Körper. Das heilt wieder, ob die Erfrierungen an den Fingern von vier Teilnehmern ohne Langzeitschäden bleiben, kann unser Expeditionsarzt zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit Gewissheit sagen. Nach einem ausgiebigen Abendessen schlafe ich in der kommenden Nacht den Schlaf der Gerechten.

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