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Shisha Pangma 1991 - Tagebuch

27.04.1991

Flug nach Dehli

Am Morgen überprüfe ich ein letztes Mal, ob alle wichtigen Dokumente und Ausrüstungsgegenstände eingepackt sind. Nach dem Mittag starten wir mit dem Auto nach München, wo sich die Expeditionsteilnehmer um 18:00 Uhr am Flughafen treffen. Unser Expeditionsleiter Günther Härter organisiert die Abfertigung des Gruppengepäcks und der persönlichen Ausrüstung, was auch ohne nennenswerte Probleme über die Bühne geht. Um 21:30 Uhr starten wir denn mit dem Ziel Dehli.

28.04.1991

Transfer zum Summit Hotel

Nach einer Zwischenlandung in Dehli landen wir geben 14:00 Uhr in Kathmandu und werden dort von der örtlichen Agentur abgeholt. Mit einem Bus geht es anschließend zum Summit Hotel. Dieses Hotel hat einen großen Garten und einen Swimmingpool, wodurch wir nicht das Gefühl haben in einer Großstadt zu sein. In dem herrlichen Garten lässt es sich bei sommerlichen Temperaturen gut aushalten und wir ruhen uns dort von dem langen Flug aus.

29.04.1991

Besichtigung von Bhaktapur

Am Morgen fahren wir nach Bhaktapur und schauen uns die vielen Sehenswürdigkeiten an.

Bhaktapur („Stadt der Frommen“) ist neben Kathmandu und Lalitpur die Dritte und kleinste der Königsstädte des Kathmandu-Tals in Nepal.
Bhaktapur liegt am Fluss Hanumante Khola und wie Kathmandu an einer alten Handelsroute nach Tibet, was für den Reichtum der Stadt verantwortlich war. Das Bild der Stadt wird bestimmt von der Landwirtschaft, der Töpferkunst und besonders von einer lebendigen traditionellen Musikerszene. Die Einwohner von Bhaktapur gehören ethnisch zu den Newar und zeichnen sich durch einen hohen Anteil von 60 Prozent an Bauern der Jyapu-Kaste aus. Die Bewohner sind zu fast 90 Prozent Hindus und zu zehn Prozent Buddhisten. Vom 14. Jahrhundert bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Bhaktapur Hauptstadt des Malla-Reiches. Aus dieser Zeit stammen viele der 172 Tempelanlagen, der 32 künstlichen Teiche und der mit Holzreliefs verzierten Wohnhäuser. Zwar verursachte ein großes Erdbeben 1934 viele Schäden an den Gebäuden, doch konnten diese wieder so instandgesetzt werden, dass Bhaktapurs architektonisches Erbe bereits seit 1979 auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes steht. (Wikipedia)

Am Nachmittag packen wir die Seesäcke für die Weiterreise zum Basislager, wo wir sicherlich ein paar wärmere Bekleidungsstücke benötigen wir hier in Kathmandu.

30.04.1991

Anreise nach Zhangmu (2300 m)

Um 7:00 Uhr starten wir mit einem Bus nach Kodari, die letzte Ortschaft vor der chinesischen Grenze. Nach 5 Stunden Fahrt erreichen wir den kleinen Ort und müssen von dort über die „Brücke der Freundschaft“ hinauf nach Zhangmu laufen. Der eineinhalbstündige Aufstieg ist eine schöne Abwechslung, aber die zwei Stunden warten an der Grenze nerven uns. Dabei sind wir die einzigen Touristen, die einreisen wollen. Unzählige Telefonate und Rückfragen der Grenzbeamten mit deren Vorgesetzten sind notwendig, bis wir endliche die Grenze passieren dürfen. Von dem ungewohnten Essen der letzten Tage rebelliert zwischenzeitlich mein Magen und ich bin froh, als wir unser „Hotel“ erreichen. Der Bezeichnung Hotel ist sicher nicht gerechtfertigt für dieses noch im Bau befindliche Haus. Sanitäre Anlagen sind nicht funktionsfähig und wir müssen dazu vor das Haus. Nun ja wir befinden uns an der Grenze zum autonomen Gebiet Tibet, das eine Verwaltungseinheit der Volksrepublik China ist und da sind die Verhältnisse entsprechend bescheiden. Ab jetzt befinden wir uns in einer anderen Zeitzone mit + 2:15 Stunden zu Kathmandu (GMT+8), wir belassen unsere Zeiteinstellung auf Kathmandu.

Das Autonome Gebiet Tibet ist eine Verwaltungseinheit der Volksrepublik China. Es umfasst ein Gebiet von 1,2 Millionen km² – die ehemaligen zentraltibetischen Provinzen Ü und Tsang, Ngari, weite Teile des Changthang sowie den westlichen Teil der Kulturregion Kham.
Das Autonome Gebiet Tibet entspricht dem "politischen Tibet", das heißt dem vor 1951 bzw. 1959 von der Lhasa-Regierung verwalteten Territorium. Die nördlichen und östlichen Teile des tibetischen Kulturraums sind, zum größten Teil als autonome Bezirke, Teile der chinesischen Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan. (Wikipedia)
Das Städtchen Zhangmu:
In der Sprache der Tibeter Dram, auf Nepali Khasa, liegt am Tibet-Fluss auf einer Höhe von ca. 2.300 m. Das alte Hauptzollamt liegt am Stadtrand ca. 10 km von der Grenze entfernt und dient heute nur noch als Lagerhalle. Die neue Zollstation ist unmittelbar auf der tibetischen Seite der Brücke der Freundschaft, sie wird von zahlreichen Grenzsoldaten bewacht.
Die Stadt ist übersichtlich klein, liegt aber an einen extremen Berghang. Auch ist der Friendship Highway nur zweispurig ausgebaut, Parkmöglichkeiten gibt es kaum, und so kommt es ständig zu Situationen, in denen nur viel Geduld hilft.
Sehenswert ist die für Tibet so untypische Umgebung der Stadt: ein jährlicher Niederschlag von 2.000 - 3.000 mm und die für das Land recht niedere Höhe um 2.000 m bringen einen fast subtropischen Regenwald hervor, überragt von den schneebedeckten Gipfeln des Himalaya. (Wikipedia)

01.05.1991

Fahrt nach Nyalam (3750 m)

Am Morgen muss Günther die letzten Zollformalitäten erledigen, damit die LKWs mit unserer Expeditionsausrüstung die Grenze passieren dürfen. Nach dem Mittag können wir die Fahrt fortsetzen und wollten zunächst in dem Hotel auf dem Weg nach Nyalam, in dem wir letztes Jahr auf dem Weg zum Cho Oyu übernachtet haben, eine weitere Nacht verbringen. Das hat jedoch geschlossen und so müssen wir bis nach Nyalam fahren, das allerdings schon über 3700 Meter hoch gelegen ist. Für eine gute Akklimatisation ist ein inaktiver Sprung von knapp 1500 Metern pro Tag nicht optimal. Dort sind wir in einem alten Tibeter Haus untergebracht, welches mir im Vergleich zum Hotel in Zhangmu erheblich besser gefällt. Das Gepäck auf den zwei Lkws muss nochmals umgeladen werden, damit ein Lkw bereits morgen zum Fahrerlager an die Shisa Pangma fahren kann.

02.05.1991

Akklimatisationstour auf 4750 m

Von der Ortschaft aus kann man auf einem Gratrücken rund 1000 Meter nach oben steigen und hat somit optimale Bedingungen, sich an die neue Höhe zu adaptieren. Wir starten um 10:00 Uhr und lassen uns beim Aufstieg reichlich Zeit. Gegen 14 Uhr sind wir etwas ausgepowert aber zufrieden von unserem Ausflug zurück. Am Abend verschlechtert sich das Wetter und Schneefall setzt ein.

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03.05.1991

Unbeständiges Wetter in Nyalam

Bei unserer Ankunft in Nyalam vor zwei Tagen konnte nicht die ganze Gruppe in einer Unterkunft untergebracht werden. Ich gehöre zu denen, die am Morgen die Unterkunft wechselt, muss, damit wir alle in einem Haus untergebracht sind. Das ist allerdings nicht der entscheidende Punkt, warum wir die Unterkunft wechseln, sondern der Weg zu den öffentlichen Toiletten, die sich in Ortsmitte befinden. Jetzt befinden wir es nun nur noch 100 Meter entfernt vom stillen Örtchen. Die zentral gelegenen Toiletten haben neben der mangelnden Hygiene durchaus Vorteile. Alle Dorfbewohner müssen notgedrungen mindestens einmal pro Tag dort mal hin und so ist es ein Ort der Kommunikation. Es hat eben alles seine Vor- und Nachteile. Gegen 11:00 Uhr ist es noch wolkenlos und so folge ich zunächst der Straße, die nach Lasa führt. Nachdem ich die Brücke überquert habe, folge ich weiter der Straße, bis diese eine scharfe Kurve um einen Gratrücken macht. Dort verlasse ich die Straße und folge dem Gratrücken nach oben. Am frühen Nachmittag beginnt es mal wieder zu schneien und ich muss im Schneetreiben absteigen. Total durchnässt erreiche ich schließlich meine Unterkunft gegen 16:00 Uhr. Am Abend bessert sich das Wetter wieder und es kommt stellenweise blauer Himmel zum Vorschein.

04.05.1991

Aussicht am Lalung La (5050 m)

Um 10:00 Uhr verlassen wir Nyalam mit dem Bus und fahren zunächst zu der 11 km entfernten Pelgyeling Gompa mit der Milarepa´s Cave. Wir besichtigen diesen historischen Ort und fahren im Anschluss nach Lalung La. Die Passhöhe auf 5050 m bietet einen herrlichen Ausblick auf die 8000er Shisha Pangma, Cho Oyu und den Mount Everest. Da sowohl der Cho Oyu als auch der Mount Everest von hier nicht optimal zu sehen sind, fahren wir nach Tingri. Mit einem guten Teleobjektiv können von hier beide Berge formatfüllend fotografiert werden. Voraussetzung dafür ist natürlich gute Sicht, die wir aber heute auch haben. Nach diesem etwas längeren Aufenthalt fahren wir zurück bis zur Kreuzung nach Siling und bauen dort unser Lager (4600 m) für die kommende Nacht auf.

05.05.1991

Ankunft im Basislager (5100 m)

Der Lkw-Fahrer ist gestern Abend zu seiner Verwandtschaft gefahren und ist heute Morgen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt zurück. Kurz entschlossen starten wir zu Fuß in Richtung Basislager. Nach einer Stunde taucht der Lkw auf und wir fahren noch zwei Stunden auf einer staubigen Piste bis zu dem Punkt, ab dem kein Weiterkommen mehr möglich ist. An dieser Stelle hat bereits eine belgische Expedition sein Basislager aufgebaut. Wir wollen allerdings unser Lager näher am Berg aufstellen und sind noch eine Stunde zu Fuß unterwegs, bis wir unseren vorgesehenen Lagerplatz erreichen. Ein vollgeladener Lkw ist bereits gestern im sogenannten Fahrerlager eingetroffen. Danach haben Tragtiere das Gepäck in unser Basislager gebracht und heute hat unsere Mannschaft unsere Zelte aufgebaut. Wir beziehen unsere Zelte und ich bin begeistert von der Aussicht auf die Shisa Pangma.

06.05.1991

Hochlagerzelt prüfen im Basislager (5100 m)

Am Morgen wird die Zusatzverpflegung verteilt und aller Zelte für die Hochlager überprüft. Danach ruhen wir uns bis zum Nachmittagstee aus und starten danach zu einem Erkundungsausflug auf der Moräne auf der orografisch linken Seite des ehemaligen Gletschers. Der Weg zieht sich und wir gewinnen etwa 300 Hm, bevor wir uns wieder auf den Rückweg machen. Gegen 18:00 Uhr sind wir zurück im Basislager.

07.05.1991

Zusammenstellen der Bergausrüstung (5100 m)

Bei traumhaft schönem Wetter beginne ich kurz nach 5:00 Uhr, die Shisha Pangma zu fotografieren. Das Licht ist heute Morgen fantastisch und so mache ich unzählige Aufnahmen. Da es so früh am Morgen noch richtig kalt ist, sehne ich den Zeitpunkt herbei, wo unser Koch den Kocher anschmeißt und er mir einen Milk Tee zubereitet. Den Morgen nutzen wir dazu, unsere Ausrüstung für den Berg zusammenzustellen und die Rucksäcke für den ersten Aufstieg zum Lager I zu packen. Am Nachmittag wir es windig und Wolken ziehen auf. Ungeachtet der Eintrübung steige ich nochmals ein Stück auf der Moräne nach oben, damit sich meine Akklimatisation verbessert. Nach meiner Rückkehr treffen auch die Yak Treiber mit den Yaks im Basislager ein. Sie sollen morgen unsere Ausrüstung zunächst zu einem Zwischenlager in 5350 m Höhe bringen und am nächsten Tag zum Lager I.

08.05.1991

Aufstieg zum Zwischenlager (5350 m)

Am Morgen begeben wir uns auf den Weg zum Lager I. Diese sehr lange Etappe ist mit den Yaks allerdings nur in zwei Tagen zu bewältigen. Wie schon an den vorangegangenen Tagen folgen wir zunächst der Moräne auf der orografisch linken Seite des Gletschers. Die Yak Treiber wählen den erheblich einfacheren Weg über das zugefrorene Flussbett und so verlassen wir nach kurzer Zeit die Seitenmoräne und folgen ebenfalls dem Flussbett. Nach 5 Stunden erreichen wir unser Tagesziel und warten dort auf die Yaks. Sobald die am Lagerplatz eintreffen, beginnen wir mit dem Aufbau der Zelte. Der erste Tag war anstrengend und so legen wir uns heute recht früh zum Schlafen. Allerdings haben wir die Rechnung ohne die Hunde Yak Treiber gemacht, denn die bellen die ganze Nacht und an Schlafen ist nicht zu denken. Irgendwann ist aber auch so eine Nacht vorbei.

09.05.1991

Aufstieg zum Lager I (5800 m)

Heute geht es in 4 Stunden vom Zwischenlager zum Lager I in 5800 m Höhe. Dabei folgen wir immer dem gefrorenen Flusslauf und späten dem Gletscher. Der Berg ist auf dieser Etappe sehr schön zu sehen und wir sind sehr gespannt, was uns oberhalb von Lager I erwartet. Heute kommen die Yaks kurz nach uns im Lager I an und so können wir sofort mit dem Aufbau dieses Lagers beginnen. Hier geben wir uns etwas mehr Mühe mit dem Einebnen des Untergrundes, da wir in diesem Lager die meist Zeit am Berg verbringen werden. Hier sind wir zu dritt im Zelt untergebracht und so teile ich das Zelt mit Günther und Kurt.

10.05.1991

Materialtransport nach Lager I (6300 m)

Ohne Ski starten wir um 8:30 Uhr und bringen Zelt, Seile, Firnanker, Kocher und Gas zum Lager II. Je weiter wir aufsteigen umso stürmischer wird es allerdings. Nachdem wir unser Material in Seesäcken deponiert haben, steigen wir umgehend wieder ab. Müde und geschafft erreichen wir gegen 15:00 Uhr wieder unser Lager I. Hier müssen wir uns selbst verköstigen und so surrt der Brenner mehrere Stunden, bis genügend heißes Wasser zur Verfügung steht für Tee und gefriergetrocknete Nahrung.

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11.05.1991

Aufstieg nach Lager II (6300 m)

Heute ist es nahezu windstill, als wir mit den Skiern den Aufstieg zum Lager II beginnen. Dabei ziehen wir unsere Ausrüstung in Plastikschlitten hinter uns her. Der Aufstieg mit den Schlitten im Schlepptau erweist sich aber erheblich schwieriger als erwartet und ob es letztlich eine Erleichterung ist, mag dahingestellt sein. Gegen Mittag erreichen wir das Lager II bei recht starkem Sturm. Unsere Sherpas waren erheblich schneller als wir und konnten unsere Zelte bei noch weniger starkem Wind aufbauen. Denn bei unserer Ankunft wäre uns das kaum noch gelungen. Schnell verziehen wir uns in die Zelte und trocknen unsere Ausrüstung über dem Gaskocher. In der Nacht nimmt der Sturm weiter zu und heftiger Schneefall setzt ein.

12.05.1991

Spaltensturz in über 6000 m Höhe

Nach der stürmischen Nacht scheint am Morgen wieder die Sonne und wir machen uns gegen 8:00 Uhr auf den Weg zum nächsthöheren Lager. Der Aufstieg erfolgt in dem Gletscherkessel auf dem Shisha Pangma-Gletscher unterhalb der steilen Nordwand der Shisha Pangma. Das Gelände ist zwar nicht übermäßig steil, aber die Distanz hat es doch in sich. Erst gegen 14:00 Uhr erreichen wir die Stelle, an der wir unser Depot in 6800 m Höhe einrichten. Neben der persönlichen Ausrüstung haben wir Zelte, Seile, Firnanker und natürlich die wichtigen Fähnchen zum Markieren der Aufstiegsspur mit nach oben gebracht. Im Anschluss fahren wir langsam hinunter zum Lager II. Auf dieser Abfahrt verschwinde ich plötzlich in einer Spalte. Es ist mein erster Spaltensturz überhaupt. Plötzlich ist es dunkel um mich herum und unter mir tut sich ein dunkler Schlund auf. Zu allem Übel bricht ein großer Bereich des Schnees am Spaltenrand ab und fällt direkt auf mich. Mein erster Gedanke ist: „Da komme ich nicht mehr lebendig heraus“. Es dauert ein paar Minuten, bis ich wieder klar denken kann. Zum Glück kann ich all meine Gliedmaßen bewegen und nur der Kopf schmerzt von den Schneemassen, die auf mich heruntergefallen sind. Einer meiner Skistöcke liegt gut 20 Meter weiter unten auf einer Schneebrücke, aber meine restliche Ausrüstung ist noch an mir und ich hänge am Seil. Schon nach kurzer Zeit ist mir richtig kalt und ich hoffe, meine Bergsteigerkollegen können mich irgendwie herausziehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit höre ich dann die Stimme von Günther, der mir zu verstehen gibt, dass ich jetzt nach oben gezogen werde. Tatsächlich bewegt sich das Seil und ich komme Schritt für Schritt näher an den Spaltenrand. Mit einiger Mühe überwinde ich den Spaltenrand und freue mich über die aufmunterten Wort von Günther. Völlig unterkühlt und demoralisiert setze ich meine Abfahrt fort. Im Eisbruch deponiere ich dann meine Skier uns setze den Abstieg zu Fuß weiter fort. Gegen 18:00 Uhr treffen wir im Lager I ein und werden mit einer warmen Suppe empfangen, die einer unserer Sherpas zwischenzeitlich zubereitet hat. Langsam komme ich wieder auf meine Betriebstemperatur und kann mich danach in meinem warmen Schlafsack von diesem Schreck erholen. Es ist eben was Anderes, ob man einen Spaltensturz bei optimalen Bedingungen in den Alpen übt oder unerwartet in über 6000 m Höhe in einer riesigen und tiefen Spalte verschwindet. Selbstverständlich sind wir am Seil gesichert abgefahren, aber sich in einer solchen Höhe ernsthaft zu verletzen bedeutet für alle beteiligten absolute Lebensgefahr. Zum Glück ist alles gut gegangen!

13.05.1991

Abstieg ins Basislager (5100 m)

Bei herrlichem Wetter machen wir uns gegen 9:00 Uhr auf den Weg hinunter zum Basislager. Nach viereinhalb Stunden erreichen wir das Basislager und können uns dort von unserem Koch Dirda verwöhnen lassen. Dirda kann jeden mit seinen Kochkünsten begeistern. Das hat es bereit an der Ama Dablam (1989) und der Cho Oyu Expedition (1990) reichlich unter Beweis gestellt. Wie schon in den vergangenen Tagen wird es am Abend sehr windig und alle verschwinden nach den Abendessen schnell in den Zelten.

14.05.1991

Ruhetag im Basislager (5100 m)

Nach dem Frühstück gehe ich hinunter zum Lager der Belgier (Fahrerlager) und kaufe von Mark für 80$ seine Skistöcke ab. Das hatten wir bereits im Lager I vereinbart, so dass ich jetzt wieder ein komplettes Paar habe. Nach diesem gut dreistündigen Ausflug besprechen wir die weitere Taktik am Berg mit Günther.

15.05.1991

Ausflug zum Gletscher (5300 m)

Heute Morgen startet die zweite Gruppe zur Akklimatisation zum Lager I. Ich begleite sie bis zum Beginn des Gletschers, um weitere Bilder von der Shisha Pangma zu machen. Gegen Mittag bin ich wieder zurück im Basislager. Bereits am Morgen haben Cirren am Himmel eine Wetterverschlechterung angekündigt und so verschwindet unser Berg gegen Mittag in den Wolken. Aber es wäre nicht Tibet, wenn sich nicht kurz darauf wieder eine Wetterbesserung einstellen würde. Am Abend haben wir zumindest wieder einen schönen Sonnenuntergang.

16.05.1991

Vorbereitungen für den Gipfelsturm (5100 m)

Der heutige Tag steht ganz im Zeichen unseres nächsten Aufstieges. Dabei wollen wir nach Möglichkeit auch den Gipfel erreichen. Ich überlege mir sehr lange, was ich noch alles für den Aufstieg zum Gipfel benötige und noch nicht in einem der Lager deponiert habe. Dirga hat es mit der reichlichen Zubereitung von Kohl sicher gut gemeint, aber in der vergangenen Nacht haben heftige Blähungen mir den Schlaf raubt. Zudem ist vermutlich meine ISO-Matte durchgelegen und mein Rücken schmerzt. Aus diesem Grund bin ich heute nicht so richtig fit und hoffe, dass sich das bis morgen wieder bessert.

17.05.1991

Aufstieg zum Lager I (5800 m)

Für den heutigen Aufstieg wählen wir den Panoramaweg über die Seitenmoräne, der schöner aber auch weiter ist. Wir benötigen dazu rund acht Stunden und kommen bei leichtem Schneefall im Lager I an.

18.05.1991

Langer Aufstieg zum Lager III (6800 m)

Um 7:00 Uhr beginnen wir mit dem Aufstieg zum Lager II. Nachdem uns der Weg bekannt ist, kommen wir auch gut voran und machen in Lager II zunächst eine Pause um Tee zu kochen. Danach geht es weiter zu unserem Depot, das wir vor einigen Tagen eingerichtet haben. Die Belgier haben hier bereit die Zelte aufgebaut und wir lassen und direkt daneben nieder. Das Lager befindet sich ganz zu Beginn des großen vergletscherten Hochtals des „Korridors“ in 6800 m Höhe. Die Aussicht auf die Nordwand der Shisha Pangma und den Korridor sind atemberaubend. Glücklicherweise haben unsere Sherpas die Zelte bereits vor unserer Ankunft aufgestellt, sodass wir sofort mit dem Kochen beginnen können.

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19.05.1991

Durch den Eiscouloir um Lager IV (7350 m)

Nachdem die Sonne die Zelte gegen 8:00 Uhr erreicht hat, machen wir uns zusammen mit den Belgiern startklar für den Aufstieg. Zunächst gehen wir mit den Skiern bis zum Ende des Korridors, deponieren die Ski dort und beginnen dann mit dem Aufstieg durch den großen Eiscouloir. Über Schnee und Blankeis steilt das Couloir immer mehr auf und erreicht 40-45 Grad Neigung. An den kritischen Stellen bringen unsere Sherpas Fixseile an, über die wir bis etwa 7250 m hinaufsteigen. Es folgt eine lange Querung nach links bis zu einem markanten Felskopf, neben dem unser Lager IV bereits von unseren Sherpas aufgebaut wurde. Es ist ein exponierter Lagerplatz, von dem aus auch das Lager III und das Basislager eingesehen werden kann. Bei der Ankunft ist die Temperatur noch angenehm und so beginnen wir sofort mit dem Schmelzen von Schnee. Im Anschluss schlüpfen wir in die Schlafsäcke und ruhen uns für den morgigen Gipfeltag aus.

20.05.1991

Gipfelanstieg über die NO-Wand (8013 m)

Um 1:00 Uhr klingelt der Wecker und wir beginnen mit der Zubereitung des Frühstücks. Der Wind ist allerdings so stark, dass wir unseren Start verschieben müssen und noch etwas weitern schlafen. Erst gegen 4:00 Uhr lässt der Wind etwas nach und wir beginnen uns anzuziehen. Das Anziehen von Schuhen, Klettergurten, Steigeisen, usw. nimmt viel Zeit in Anspruch, da zu dritt in einem Zelt nur einer wirklich agieren kann. Aber wir können tatsächlich um 5:00 Uhr starten. Gleich hinter den Zelten geht es relativ steil nach oben. Wir folgen zunächst dem Grat in Richtung Zentralgipfel, welches der übliche Normalweg ist. Später queren wir in die NO-Wand und nehme in etwa die Route von Reinhold Messner und Friedl Mutschlechner vom 28.05.1981, oberhalb der oberen Traverse der Erstbesteiger. Oberhalb des Gendarmen beginnen wir mit der nicht ungefährlichen Querung zum Sattel zwischen Zentral- und Hauptgipfel. Allerdings sind die Schneebedingungen in der Querung besser wie zunächst vermutet und somit die Lawinengefahr vertretbar. Am Sattel sind dann plötzlich wieder Spalten vorhanden und wir gehen von hier bis zum Hauptgipfel angeseilt nach oben. Im Gipfelbereich ist es unnatürlich warm, sodass wir nur mit den Flies bekleidet zum Gipfel gehen. Den erreichen wir um 14:00 Uhr bei nicht mehr ganz optimalen Wetterbedingungen. Leider ziehen rasch Wolken auf und erlauben uns keinen ungehinderten Ausblick auf die umliegenden Berge. Nichtsdestotrotz freuen sich Ottilie Dörrich, Kurt Hecher, Theo Fritsche, Herwig Schnutt, Günther Härter und ich riesig über unseren Gipfelerfolg. Nach den obligatorischen Gipfelbildern steigen wir umgehend ab. Der gesamte ungesicherte Abstieg in dem 35 – 45 Grad steilen Gelände erfordert nochmals volle Konzentration. Zwischen 17:00 und 18:00 Uhr erreichen alle wohlbehalten das Lager III. Etwas später treffen auch unsere belgischen Bergfreunde im Lager ein. Sie haben unterhalb des Gipfels umgedreht, weil sie zu langsam waren.

21.05.1991

Abstieg ins Lager I (5800 m)

Gegen 8:00 Uhr beginnen wir mit dem Abstieg durch den Eiscouloir entlang der Fixseile zum Korridor. Ab unserem Ski Depot fahren wir zunächst zum Lager III und treffen auf halben Weg unsere zweite Gruppe, die sich jetzt im Aufstieg zum Lager IV befindet. Sie besteht aus den Teilnehmen Werner Braun, Werner Meichsner, Günther Semmler und Karl-Heinz Thiele, die uns zu unserem Gipfelerfolg gratulieren und wir ihnen gutes Gelingen wünschen. Günther Härter spricht die Empfehlung aus nicht die lange und mühsame Querung zu nehmen, sondern direkt zum wesentlich näheren Zentralgipfel zu gehen. Zum Schluss wird das Funkgerät übergeben und dann geht es zum Lager III. Hier legen wir eine kurze Pause ein, trinken Tee und essen etwas. Im Anschluss fahren wir langsam hinunter zum Lager II, wo wir weiter Ausrüstung einpacken und wegen der extrem schlechten Schneeverhältnisse zu Fuß absteigen. Dieses Mal erwischt es Kurt mit einem Spaltensturz, der aber auch glimpflich ausgeht. Um 17:00 Uhr haben wir es geschafft, unsere Gruppe ist heil vom Berg heruntergekommen und im Lager I. Unsere Sherpas habe eine Suppe für uns gekocht und so sinkt unser Adrenalinspiegel langsam auf ein erträgliches Maß. Für mich ist es die zweite Besteigung eines Achttausenders, die mir gelungen ist. An diesem Abend unterhalten wir uns noch lange und finden nur schwer den nötigen Schlaf.

22.05.1991

Abstieg ins Basislager (5100 m)

Heute Morgen bläst der Wind im Lager I recht stark und es zieht hohe Schichtbewölkung auf, die mal wieder auf eine Wetterveränderung hindeuten. Gegen 8:00 Uhr verlassen wir das Lager und begeben uns auf den langen Weg zum Basislager. Gegen 11:00 Uhr gibt es einen Funkkontakt mit unserer zweiten Gruppe, die sich im Aufstieg zum Gipfel befindet. Außer Werner Braun, der mit Problemen mit seinen Augen im Lager IV geblieben ist, sind die drei Bergsteiger in der Höhe des Gendarmen in etwa 7800 m Höhe. Günther Härter ermahnt die Drei nochmals, kein unnötiges Risiko einzugehen und das Wettergeschehen zu beobachten. Es wird vereinbart, zu jeder vollen Stunde Funkkontakt aufzunehmen. In den nächsten Stunden kommt kein weiterer Funkkontakt zustande und das Wetter verschlechtert sich weiter. Wir treffen um 15:00 Uhr im Basislager ein und können wegen der Bewölkung die Gipfeletappe nicht mehr einsehen. Bis zum Abend wissen wir nicht ob unser Freunde den Gipfel erreicht habe. Wir gehen aber davon aus, dass unsere Bergfreunde jetzt wieder im Lager IV sind.

23.05.1991

Lager III wir von den Sherpas abgebaut

Am Morgen liegen ein paar Zentimeter Neuschnee im Basislager und das Wetter ist wieder gut. Günther und Kurt fahren nach dem Frühstück zusammen mit den Tibetern nach Nyalam, um den Bus und die Lkws zu bestellen. Unsere beiden Sherpas Rau und Indre steigen am Morgen vom Lager I zum Lager III und wollen dieses abbauen. Obwohl die Etappe von Lager III zu Lager IV nahezu vollständig einsehbar ist, können sie niemand im Abstieg erkennen. Da die Beiden keine Schlafsäcke dabeihaben und somit nicht im Lager III auf unsere Freunde warten können, bauen Sie wie geplant das Lager III ab und kehren zurück ins Lager I, wo Sie gegen 15:00 Uhr eintreffen. Um 18:00 Uhr haben wir dann den ersten Funkkontakt mit Lager I und erfahren den Sachverhalt des heutigen Tages. Wir sind ratlos und machen uns jetzt ernsthafte Sorgen um unsere Freunde. Um 20:30 Uhr kommt dann Günther von Nyalam zurück und bei einem weiteren Funkkontakt mit Lager I wird vereinbart morgen Früh, um 7:00 das weitere Vorgehen zu besprechen.

24.05.1991

Aufklärungsflug wird in Lasa beantragt

Nach der Ungewissheit über unsere vier Bergfreunde habe ich in dieser Nacht kein Auge zugemacht. Früh am Morgen fahren Günther und Kurt mit dem Jeep so weit wie irgend möglich auf der Seitenmoräne in Richtung Lager I. Mit dem Fernrohr der Belgier wird die Gipfeletappe und der Zu- und Abstieg abgesucht, allerdings ist dort keinerlei Bewegung festzustellen. Vom Lager I sind zwischenzeitlich alle drei Sherpas auf den Weg zum Lager III und versuchen das Lager IV zu erreichen. Aufgrund der immensen Neuschneemengen und die damit verbundene Lebensgefahr in dem 40-45 Grad steilen Couloir müssen Sie abbrechen und so stellen ein Zelt in Lager III auf und übernachten dort.
Am Nachmittag fährt Günther mit dem Jeep nach Shigatse, um von dort telefonisch in Lasa einen Aufklärungsflug oder Rettungsflug zu beantragen.
In der Nacht treffen die Yak-Treiber ein mit den Tieren ein, die unser Gepäck von Lager I holen soll.

25.05.1991

Sherpas kehren zurück ins Lager I

Am frühen Morgen gehen die Yaks in Richtung Lage I. Mit unserem Sirda haben wir am Morgen keinen Funkkontakt und somit auch keine neuen Informationen. Die Stimmung im Basislager ist auf dem Nullpunkt angekommen und jeder ist verzweifelt über die Situation. Das spitzt sich am Abend weiter zu, nachdem heute kein Hubschrauber oder Flugzeug aufgetaucht ist. Erst am Abend kommt ein neuer Funkkontakt mit unserem Sirda zustande und wir bekommen einen Lagebericht. Die Sherpas haben den halben Tag bei optimalen Wetterverhältnissen das Couloir zu Lage IV beobachtet und keinerlei Bewegungen erkennen können. Auf Grund der anhaltenden Lawinengefahr sind Sie am Nachmittag ins Lager I abgestiegen. Das Zelt mit Gas und Lebensmittel habe Sie im Lager III gelassen.

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26.05.1991

Gedenkpyramide im Basislager

Gegen 8:00 Uhr haben wir wieder Funkkontakt mit unserem Sirda, der heute zusammen mit den anderen beiden Sherpas und den Yaks ins Basislager absteigen will. Die Yaks werden mit den schweren Lasten allerdings erst morgen im Basislager eintreffen.
Bei uns ist zwischenzeitlich Resignation eingekehrt und wir gehen von einem schweren Unfall aus, bei dem vermutlich alle drei Bergfreunde den Gipfelaufstieg nicht überlebt haben. Warum es keinerlei Lebenszeichen von Werner Braun gegeben hat, der ja im Lager IV zurückgeblieben ist, können wir uns nicht erklären. Aus diesem Grund beginnen wir mit dem Bau eine Gedenkpyramide für unsere Kameraden. Bis zum späten Nachmittag ist die Pyramide gut zwei Meter hoch, als diese plötzlich in sich zusammenstürzt. Für einen neuen Versuch fehlt uns heute die Kraft.
Zum Abendessen ist auch Günther mit der erschütterten Nachricht von Shigatse zurück, dass es keinen Such- oder Rettungsflug geben wird. Ein letzter Strohhalm, an den wir uns geklemmt haben, ist damit auch nicht mehr vorhanden.

27.05.1991

Gedenkfeier im Basislager

Ein wunderschöner Sonnenaufgang taucht unseren Schicksalsberg in ein zauberhaftes Licht. An den hohen Bergen ist Freude und das Leid leider sehr nahe beieinander. Bis vor wenigen Tagen haben wir eine harmonische und schöne Zeit gehabt, aber jetzt hat das Leid und die Hoffnungslosigkeit die Oberhand gewonnen. Da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kameraden am Berg verloren habe, bin ich mit dieser Situation völlig überfordert. Eine Erklärung auf das warum oder wieso habe ich ohnehin nicht.
Am Morgen sortieren und verpacken wir die Ausrüstung für unsere Rückreise. Ein Teil der Gruppe baut die Gedenkpyramide wieder auf, vor der wir am Nachmittag eine kleine Gedenkfeier abhalten. Die ist allerdings so emotional, dass wir uns nach kurzen Zeit in allen Himmelrichtung verteilen und jeder in Stille an die, vermutlich toten Kameraden gedenkt.
Wenig später sind die Yaks mit unserer Ausrüstung vom Lager I in der Ferne zu sehen. Nach dem Eintreffen im Basislager trocknen wir unser nasse Ausrüstung und kommen so für einen kurzen Zeitraum auf etwas andere Gedanken.

28.05.1991

Lkws treffen ein

Unsere restliche Ausrüstung vom Lager I wird getrocknet und in die Seesäcke verpackt. Am Abend treffen die Lkws im Fahrerlager ein und wir können morgen die Rückreise antreten.

29.05.1991 – 07.06.1991

Ich habe nicht mehr die Kraft mein Tagebuch weiter zu schreiben, daher stichwortartig die letzten Tage der Expedition:

  • Wir kommen ohne besondere Vorkommnisse zurück nach Kathmandu.
  • Günther hat in Kathmandu viele bürokratische Hürden zu nehmen.
  • Um auf etwas andere Gedanken zu kommen unternehmen wir einen mehrtägigen Ausflug ins Terrain und können auf dem Rücken von Elefanten den Urwald durchqueren. Wir können nur wenige Nashörner sehen, alle anderen wilden Tiere bekommen wir nicht zu Gesicht.
  • Von Kathmandu aus treten wir den Rückflug nach Deutschland an, der für uns alle sehr schwer ist.

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