Ortler (3905 m) Hintergrat
27.07.2013
Um 4:30 Uhr treffen sich die vier Teilnehmer (Thomas, Robert, Philipp und Ulrich) sowie Helmut und ich in Tübingen am Sportinstitut. In sechs Stunden erreichen wir Sulden (1845 m), den Ausgangspunkt für die Überschreitung des Ortlers.
Zunächst fahren wir mit der Seilbahn bis zur Mittelstation auf 2172 m und steigen von dort hinauf zur Hintergrathütte (2661 m). Bei der Ankunft auf der Hütte am frühen Nachmittag sind nur wenige Bergsteiger anwesend, was sich bis zum Abend aber ändern sollte. Die Hütte ist im Besitz des Bergführervereins von Sulden und somit keine CAI-Hütte. Die Zimmer und die Betten sind in einem guten Zustand. Allerdings sind die wenigen Toiletten für die 70 Schlafplätze eindeutig zu wenig und der Waschraum mit zwei Waschbecken knapp bemessen.
Nach einer kurzen Pause auf der Hütte erkunden wir den ersten Teil des Aufstiegs, um morgen früh in der Dunkelheit den Weg einfacher zu finden. Am Abend rundet ein gutes Abendessen den langen Tag ab und wir gehen um 21:30 Uhr ins Bett.
28.07.2013
Um 3:30 Uhr sitzen wir beim Frühstück und ich muss mich überwinden, das trockene Brot hinunter zu bekommen. Was soll´s, entscheidend ist unser heutiges Ziel zu erreichen und so verlassen wie die Hütte gegen 4:15 Uhr.
Aufstieg:
Zunächst führen deutliche Wegspuren nach Westen zur Moräne des Suldenferners. Auf dieser geht es an einer Felswand vorbei, bis sich nach rechts eine breite, steile Schotterrinne öffnet. Durch diese geht es nun auf einem schmalen Steig in Serpentinen hinauf zu einem großen Kar. Zunächst steigt man in der Mitte des Kares flacher dann leicht rechts haltend steiler zum oberen Ende des Kares und erreicht schließlich Felsgelände. In dem nun folgenden unübersichtlichen Abschnitt muss man gut auf Begehungsspuren und Steinmänner achten. Tendenziell hält man sich eher etwas links. Passagen im zweiten Grat und steiles, schottriges Gehgelände wechseln sich miteinander ab. Spätestens, wenn man oben eine Gedächtnistafel vor sich sieht, muss man sich links halten, um schließlich über eine kurze Verschneidung (II) am Ende einer breiten Rinne den eigentlichen, hier noch breiten Grat zu erreichen. Von dort aus ist die Orientierung deutlich einfacher. Man folgt dem Grat über leichtes und hier erstaunlich festes Klettergelände hinauf zum ersten Eisfeld. Über diesen sehr breiten Firnrücken geht es zunächst ganz flach, dann wieder ansteigend zum Hintergrat empor, den man bis zum Signalkopf (3725 m) in reinem Gehgelände ersteigt. Hier sichern wir uns zum ersten Mal und seilen uns an einem Ringhaken auf der linken Seite des Signalkopfs 25 m ab (III). Unten angekommen erreicht man ein deutliches ausgesetztes Band (II), das wieder zum eigentlichen Grat führt, der ab jetzt deutlich schmaler ist.
Man folgt diesem noch ein Stück bis zu einem Stand an einem Felsköpfl. Dahinter kommt ein Steilaufschwung mit der ersten Schlüsselstelle (IV). Diese Stelle ist abdrängend und abgeschmiert und man ist froh, wenn man am Ende der Stelle die Kette greifen und dort einklinken kann. Im Anschluss folgt man dem schmalen Grataufschwung am besten noch weiter (III) und macht an einem weiteren Felsköpfl Stand. Danach geht es ein paar Meter rechts des Grates weiter und wieder nach links hinauf zum Grat. Diesem folgt man etwas ausgesetzt zum zweiten Firnfeld, das mit bis zu 40° steiler ist als das Erste. Man steigt über das Firnfeld leicht nach links empor und quert dann flacher nach rechts zurück zum Felsgrat. Sicherheitshalber sichern wir die Teilnehmer über dieses steile Firnfeld.
Dort kann man an einem Felsköpfl abermals einen Stand einrichten, um danach eine schöne und recht feste Felsstufe (III) zu erklettern. Unterhalb eines Überhangs macht man abermals Stand. Hier quert man leicht nach links oben zur zweiten Vierer-Stelle (zwei Haken), die aber deutlich leichter ist als die Erste. Sie wird wiederum leicht rechtshaltend erklettert, um zum nächsten Stand an einem Felsköpfl zu gelangen. Ab hier folgt man dem nun leichteren (II-III), aber teilweise weiter ausgesetzten Grat bis zum Gipfel. Wegen der heftigen Windböen (bis zu 80 km/h) sicher wir auch den letzten Abschnitt komplett.
Das Warten am Gipfel auf Helmuts Seilschaft wird bei dem kalten Wind zum Geduldsspiel und wir sind froh nach dem obligatorischen Gipfelfoto auf dem Normalweg absteigen zu können.
Abstieg:
Der Abstieg erfolgt über den Normalweg. Angeseilt geht es auf dem weiten Gipfeleisfeld zunächst nach Südwesten, dann nach Nordwesten anfangs angenehm flach bergab. Ein großer Gletscherbruch wird in einem Bogen links umgangen, bevor es über einen steileren Firnhang (ca. 40°) zur Lombardi Biwakschachtel hinabgeht. Wir gehen zunächst direkt zum Biwak und folgt hier deutlichen Steigspuren zu einer Abseilstelle. Ich bin mir nicht sicher ob wir mit unserem 45-m-Seil den Gletscher tatsächlich erreichen können und so queren wir unterhalb des Biwaks zum steilen Firnhang, über den man das Bärenloch erreicht. Hier fließen Sturzbäche über den blanken Gletscher und so müssen wir auch hier abseilen. Ab hier steigt man erst direkt ab und quert dann nach rechts, um an einem Felssattel den von der Tabaretta Spitze herkommenden Grat zu erreichen. Man folgt dem ausgesetzten Grat (II) zu einem Abbruch mit Abseilstand. Dort kann man eine etwas heikle 3er Stelle entweder vorsichtig abklettern oder abseilen. Wir entscheiden uns für Abseilen und verlieren hier 20 Minuten, bis alle über diese Stelle sind. Danach folgt man dem zuerst noch schmalen, dann breiteren Grat weiter zum nächsten Abbruch. Dieser wird mithilfe einer langen Eisenkette bis zu einer Scharte abgeklettert. Auf der anderen Seite geht es wieder bergan und immer dem Grat folgend nach Norden. Es ist die letzte 2er Stellen aber zumeist Gehgelände. Schließlich wird die Tabarettaspitze westseitig, leicht ansteigend umgangen. Man erreicht eine letzte Scharte und sieht nun die Payer Hütte bereits vor sich liegen. Von der Payerhütte aus geht es auf einem guten Bergweg ohne Orientierungsschwierigkeiten über die Bärenkopfscharte und die Tabarettahütte direkt zum Ausgangspunkt nach Sulden hinab.
Um 20:00 Uhr sind wir glücklich aber auch sichtlich geschafft an der Kirche in Sulden. Ein langer Tag mit 1200 m im Aufstieg und 2000 m im Abstieg liegen hinter uns. Dabei ist selbst der Normalweg über weite Distanzen mit atemberaubenden Tiefblicken bestückt, die eine gehörige Portion Selbstvertrauen und Hochgebirgserfahrung erfordern. Für Alpinisten mit dem nötigen Können und Kondition eine grandiose Überschreitung.